Goethes «Faust» - aus der Vergangenheit ins Klassenzimmer gebracht
26. Oktober 2020

Theaterprojekt Faust

Die Lektüren im Deutschunterricht - immer so altbacken und schwer zu verstehen!

Diese Hürde wurde uns dieses Mal genommen, denn wir, die 12. Klasse des Gymnasiums, hatten die Ehre, den Klassiker „Faust, der Tragödie erster Teil“ von Johann Wolfgang Goethe als Theaterstück zu sehen. Und es wurde sogar noch eine Schippe draufgesetzt: Wir sind nicht zu einem Theater gefahren, haben uns dort nicht unter die Leute gemischt und uns irgendeine Version von Faust angeschaut, nein, das Theater kam zu uns! In unserer «Fabrik», einem der größten Unterrichts-Räume auf dem Schulgelände der FES, wurde alles aufgebaut, was die Schauspieler zur Aufführung brauchten.

Wir, das Publikum, traten nach der Schulpause alle miteinander in die Fabrik ein und setzten uns auf unsere aufgebauten premium Audienz-Plätze. Da wir nur zwei Deutschkurse, also ca. 50 Zuschauer, waren, hatten wir alle die Möglichkeit, diese komplett andere Art von Faust, von der wir bis zu dem Zeitpunkt alle noch nichts ahnten, aus allernächster Nähe zu bewundern.

Während noch die letzten Mitschüler eintrafen, fing das Stück schon an: Solange die „Vorszene“ des eigentlichen Stückes von Petra Ehrenberg und Tobias Schill gespielt wurde, rollten die beiden eine Art Matte aus, die mit dem Motiv eines Holzbodens bedruckt war. Diese reichte bis unmittelbar vor unsere Füße, wohin sich somit auch die Bühne des Schauspiels erstreckte. Dementsprechend nah kamen die später auftauchenden Figuren „Faust“, „Mephisto“ und noch manch anderer.

Erst jetzt fiel der große, graue Schrank auf, der auf der hinteren Ecke der Matte stand. Petra Ehrenberg, die im Verlauf des Stücks als Herr, Faust (alt), Hexe, Mephisto und Gretchen auftrat, und Tobias Schill, der Mephisto, den Erdgeist, Wagner, Faust (jung) und Marthe verkörperte, klappten ihn erstmals während „Prolog im Himmel“ auf und nahmen dann, während des Stücks, immer wieder Requisiten aus dem geöffneten Schrank oder ließen sie wieder darin verschwinden. Sie nutzten den «Schrank» jeweils so, dass man das Gefühl bekam, direkt in die Szene hineinzuschauen. Man vergaß vollkommen, dass man eigentlich nur in einem Klassenzimmer saß.

Das Schwierige bei dem Stück sind ja eigentlich zweierlei Dinge: die vielen Kulissen, welche wegen der vielen kurzen Szenen nötig sind, und: die Sprache.

Bei der Lösung des Kulissen-Problems half der Schrank sehr. Diesen Schrank konnte man nicht nur einmal öffnen, wie jeden anderen Schrank, nein: Man konnte diesen Schrank nochmal und nochmal aufklappen und am Ende stand da kein quadratischer Schrank vor uns, sondern ein Halbkreis an Schrank. Die Vielfalt dieses vermeintlich einfachen Schrankes war auf jeden Fall beeindruckend, und sie half auch sehr, das Bühnenbild so zu gestalten, dass es für uns Zuschauer immer klar war, wo wir uns befanden. Die Schauspieler brauchten nur eine Tür ein- oder weiter aufzuklappen und schon waren wir in der nächsten Szene. Wenn sie manchmal etwas mehr Zeit brauchten, wussten sie das immer sehr gut zu überbrücken. Man sah über die 100 Minuten verteilt immer wieder, wieviel Kreativität des Regisseurs Thorsten Kreilos in der Inszenierung drinsteckt. Von einer Art Bauchredner-Puppen über Kostüme bis zu technischen Hilfsmitteln, z. B. einem Mikrofon mit einer Wiederholungsschleifen-Funktion.

Und so unglaublich das auch klingen mag: Durch das geniale Bühnenbild und das wirklich bewundernswerte Können von Petra Ehrenberg und Tobias Schill war selbst die Sprache genauso einfach, als ob Goethe das Stück in der heutigen Sprache geschrieben hätte. Sie sprachen zwar die genau gleichen Worte, in der die Tragödie verfasst wurde, doch auch wenn ich mich jetzt zurückerinnere, denke ich vordergründig an das, was meine Augen sahen. Die Darstellung war so beeindruckend, dass die, für die heutige Jugend eh nicht so einfach verständliche, Sprache eher zweitrangig wurde und mehr eine untermalende Funktion hatte als eine erzählende.

Ich muss wirklich sagen, dass die Lektüre ein relativ großer Brocken Arbeit war, als wir sie im Unterricht bearbeiteten. Man musste die Sätze meistens mindestens zweimal lesen um zu verstehen, was da eigentlich steht. Die Inszenierung von Thorsten Kreilos und seinem Theater Mobile Spiele dagegen hat mir mit ihrer perfekten Mischung von Moderne und Klassik den «Faust» wirklich nahegebracht. Danke, dass wir das erleben durften!

Lisa Heidenreich, J2a

Fotos: Stefan Mesitschek