Eine besondere Begegnung – Klassenaktion der Ee (BG)
04. Mai 2022

Ukraine-Aktion Ee

Wir sitzen an der Wiese. Das leise Plätschern des Wassers umgibt uns. Die Sonne berührt unsere Gesichter. Es ist angenehm warm. Idyllisch. Friedlich. Kaum habe ich dieses Wort gedacht, überkommt mich eine dumpfe Traurigkeit. In diesem Moment habe ich vergessen, dass ich mit geflüchteten Ukrainer:innen am Wasser sitze und mich über Musik unterhalte. Über Tolstoi und Goethe. Kultur, denke ich. Das verbindet uns. Jung sein auch.  Das dunkle Wasser mache ihr Angst, sagt sie. Den Boden nicht zu sehen, davor fürchte sie sich. Ich mich auch. Verschluckt zu werden vom schwarzen Wasser. Verschluckt zu werden vom Krieg.

Rückblende

Es ist Donnerstag, der 28. April 2022. Wir besprechen den morgigen Tag. Haben wir an alles gedacht? Fehlt uns noch etwas? Willkommens-Plakate werden gemalt. Zweisprachig: ukrainisch und deutsch. Ein kurzer Ablaufplan skizziert. Das Klassenzimmer noch einmal geputzt. Die Führung durch Lörrach und die Spiele hatten wir vor einigen Wochen schon geplant. Ich bin aufgeregt, vielen geht es ähnlich. Eigentlich wollten wir als Klasse in den Escape-Room, aber wir ließen uns von unseren beiden Klassenlehrerinnen, Frau Harnisch und Frau Frenkel, schnell umstimmen, uns sozial zu engagieren. Die Idee, geflohenen Ukrainer:innen zu begegnen, war gewachsen. Frau Frenkel machte ordentlich Werbung und so waren bereits einige Anmeldungen eingegangen.

Neuer Tag

Freitag, 29. April: Wir stehen mit den Plakaten an der Straße, uns wird freundlich zugelächelt. Die ersten Ukrainer:innen kommen - Smalltalk. Die Übersetzungs-App hilft. Kurze Namensrunde und Kennenlernspiele, dann geht’s los.

Wir spazieren durch Lörrach, eine Übersetzerin unterstützt uns. Wir zeigen den Jugendlichen unsere Stadt. Vom "Wilden Mann" zum Krankenhaus und runter an die Wiese. Ein Zwischenstopp beim Erdbeerstand. Ein reger Austausch. Stille und laute Momente, sonnige und dunkle.

Ich sehe Bilder von Odessa. Das Schwarze Meer im Winter. "Das war im Dezember vor dem Krieg", sagt sie. Vor dem Krieg. Eine neue Zeitrechnung. Es gibt nur noch vor dem Krieg. Pläne, die gemacht wurden – vor dem Krieg. Pläne, die sie über Bord werfen musste. Dieser Krieg macht mich wütend. All das, was ich in den Nachrichten sah, sehe ich jetzt auf privaten Fotos. Ein Keller, indem sie sich während Bombardierungen versteckten. Das alles wirkt so surreal. Und es ist ein surreales Gefühl, hier zu sitzen und zu wissen: ca. 1.500 km von Deutschland entfernt werden Städte bombardiert, Menschen getötet.

"Hattest du Angst?", frage ich und während ich diese Frage stelle, wird mir die Sinnlosigkeit dieser Frage bewusst. "Ja", antwortet sie leise.

Wenn man alles verliert und nichts hat. So muss sich Einsamkeit anfühlen. Ich denke noch immer über das Paradox nach, dass die Sonne scheint, das Wasser plätschert und ich den Frühling riechen kann. Ich frage mich, ob in der Ukraine auch gerade die Sonne scheint. Ich stelle mir die Seen und Flüsse vor, von denen sie mir erzählt. Die Landschaft, die sie beschreibt. Das Essen, das vor mir bildlich erscheint. Die Touristen, die am Schwarzen Meer Partys feierten und wie es ist, jeden Tag auf das Meer blicken zu können. Sie erzählt mir von ihrer Flucht, von ihrem Vater und ihren Cousins, die zu Hause blieben, um ihr Land zu verteidigen. Drei Tage waren sie unterwegs. Drei Tage auf der Flucht. Es liegt so viel Schönheit in ihren Worten, soviel Schmerz, welcher durch ihr müdes Lächeln unterstrichen wird.

Wir laufen zur Schule zurück, schieben die Tische zu einer langen Tafel in unserem Klassenzimmer zusammen. Pizza wurde bestellt. Alle ein bisschen erschöpft. Alle ein bisschen müde. Die Pizza schmeckt. Im Stillen kauen wir vor uns hin. Ich frage mich, an was die anderen denken, was sie bewegt. So alt wie wir, geht es mir durch den Kopf. Diese Vorstellung erschreckt mich. Das Wort Krieg bekommt eine neue Bedeutung. Wir verabschieden uns. Ich laufe zum Zug und eigentlich ist da nur dieser eine große Wunsch in mir: Der Wunsch nach Frieden.

Anna-Lena Dresen, Ee